Fast- Fair- oder No-Fashion? // Zwei Dokus und meine Gedanken dazu

fashion industryGestern habe ich mehrmals eine Empfehlung für die Doku „Hungerlohn für hippe Mode“ in meiner Timeline gesehen. Die Doku hat vor allem in Skandinavien aber auch bei uns in der Presse und Bloggerszene hohe Wellen geschlagen. Bisher hatte ich sie noch nicht gesehen – aber diese Woche hat sie der WDR gesendet – und sie ist noch in der Mediathek verfügbar – daher habe ich gedacht, ich muss es euch heute schnell noch empfehlen, bevor sie vielleicht bald offline geht. Die Story: Drei junge Fashionblogger aus Norwegen erleben in Kambodscha unter welchen Umständen ihre Kleidung hergestellt wird. Jeder hat schon einmal von den schlimmen Umständen in den Fabriken Südostasiens gehört. Aber wenn man sich einmal die betroffenen Menschen und Umstände in live (oder als Zuschauer in Bewegtbild anschaut), ist es dann immer wieder aufrüttelnd. Und auch wenn die Dokus (vor allem zweitere) in journalistischer Manier dramaturgisch so aufgebaut sind, dass es nach schwarz-weiß Malerei aussieht, machen sie doch betroffen. Die jungen Blogger, anfangs noch topgestylt und mit europäischen Vorurteilen im Kopf wie „Sie sind bestimmt glücklich, denn sie kennen es ja nicht anders“ können im Lauf der Dokumentation zusammen mit dem Zuschauer so einige Erkenntnisse sammeln. Aber seht selbst (Bild ist verlinkt):

wdr weltweit

Auch interessant – aber mir zu stark auf H&M bezogen ist diese Reportage:

Doch was macht man mit jetzt der Wahrheit, der Erkenntnis und der Einsicht? Wie kann ich eigentlich als „normaler“ Europäer ein angemessenes Konsum-Verhalten leben ohne einerseits komplett asketisch zu sein und den Aussteiger zu proklamieren  – und andererseits diese Ungerechtigkeit weiter zu unterstützen? Irgendwie bin ich ja doch ein Verfechter der sozialen Marktwirtschaft – aber wie schaffe ich als Konsument dass die auch sozial bleibt? Wie immer gibt es auch hier auch kein schwarz und weiß und folgende Gedanken verformen sich immer wieder zu einer Spirale in meinem Kopf ohne wirkliche Lösung:

thoughts running through my head

„Wer immer nur billige Ware will, muss sich über die Umstände nicht wundern, wie sie produziert wurde.“ „Aber produzieren Marken-Labels nicht unter den gleichen Bedingungen? Geht es dem Näher meiner H&M Bluse wirklich besser, als dem meiner teuren Nikes?“

„Jeder Kassenbon ist ein Stimmzettel“ „Aber entziehe ich mit einem Kaufstopp von „Made in ‚armes Land XY‘ den Menschen dort nicht auch die Arbeit und damit das wenige, das sie überhaupt haben?“

„Ich kann nicht bei allem was ich kaufe 100% nachhaltig sein, alleine die Recherche würde es nicht möglich machen“ „Muss man das überhaupt? Sind nicht die Länder und damit die Menschen dort selbst für ihr Leid verantwortlich? Warum setzen sie sich nicht für demokratische Strukturen ein und Volksvertreter, die Gewerkschaftler nicht in den Knast sperren – sondern Mindestlöhne einführen, von denen die Menschen dort leben können?“

„Was ist eigentlich mit der Umwelt? Was machen wir mit den Klamottenbergen, wenn wir mittlwerweile bei 12 Kollektionen im Jahr immer neue Sachen shoppen müssen?“ „Kurble ich als Fashion-victim nicht auch meine eigene Wirtschaft und den Handel an? Stärken die Addidas Sneaker aus China und Co nicht irgendwie auch die deutsche Wirtschaft und unsere Arbeitsplätze?“

Nachdem die Gedankenspirale immer wieder wenn ich Artikel oder Dokus zu dem Thema sehe, in Gang gebracht wird, habe ich ein bisschen reflektiert und mir selbst ein paar feste Regeln gesetzt. Das hat mir auch schon bei der Frage: „Was esse ich?“ geholfen, den Gedankenwirbel langsamer drehen zu lassen. Was ist also moralisch für mir selbst vertretbar und mein persönlicher Mittelweg?

my shopping rules

Fair Fashion eine Chance geben! Ich denke, alles stimmt ein bisschen. Bei den undurchsichtigen Prozessen in Produktion und Handel kann und will ich nicht nachvollziehen, wie jedes einzelne Teil, das ich kaufe, hergestellt wurde. Ich möchte auch nicht, dass die Menschen in diesen Ländern – und in unserem Land gar keine Arbeit mehr haben, deswegen ist Konsumverzicht auch keine Lösung. Aber ich kann ja die richtigen Akzente setzen:

Es gibt immer mehr Firmen, die sich für eine faire Entlohnung ihrer Produzenten einsetzen. Und damit man sich nicht tot recherchieren muss, gibt es mittlerweile auch Shops, die sich auf solche Produkte spezialisiert haben. Deswegen habe ich beschlossen, dass ich auf jeden Fall bei Basics konsequent auf nachhaltige Marken setze – denn die sind nicht nur fair entlohnt, sondern auch noch umweltverträglich produziert. Bezahlbare Basics in schöner Qualität gibts zum Beispiel bei grundstoff.net Nachdem ich früher immer meine Leggins (die ich fast täglich trage) beim H&M gekauft und mich ständig über das Schlabbern und die Löcher nach nur wenigen Monaten aufgeregt habe, habe ich jetzt dort schon zwei von Trigema – mady in Germany – bestellt – die auch nach einem halben Jahr immer noch fest sitzen. Weiße Basic Shirts, aus so einem schnell wachsenden Bambus habe ich auch – die fühlen sich super weich an – und das gute Gewissen gibts inklusive – fair entlohnt und produziert in Vietnam, einem meiner liebsten Urlaubsländer. Ein weiterer Online-Store, der auf fair produzierte und umweltverträgliche Sachen spezialisert ist, ist der Avocado-Store. Dort habe ich mir zum Beispiel meine schöne Brotbox gekauft, die ohne Plastik auskommt und von einem fairen Familienbetrieb aus Indien hergestellt wird.

Second Hand Rate erhöhen! Gut für die Umwelt, das Budget sowieso und eine Übung seinen eigenen Stil zu finden. Den ganzen Sachen die nur für eine Saison gekauft und getragen wurden, kann man doch noch eine Chance geben. Was bei Kindern, die schnell rauswachsen ja mehr oder weniger normal ist, kann doch nicht schlecht für Erwachsene sein. Denn nicht immer nur, was neu im Regal in der Fußgängerzone liegt, ist cool – Vintage ist es auch! Und das hört nicht bei der Kleidung auf – denn gerade auch was  Einrichtungsgegenstände angeht versuche ich mehr auf second hand zu setzen. Klar kaufe ich auch bei Ikea und Co ein – aber es spart Rohstoffe und Müll und verringert den Konsum an industriell und billig hergestellter Massenware – und schön siehts auch aus. Da sind Flohmärkte meine erste Wahl, aber auch die gängigen Online-Portale wie Ebay, quoka, Kleiderkreisel, Mädchenflohmarkt und Co.

Who made my …? Gerade die Undurchsichtigkeit bei der Herstellung und die Anonymität bei den großen Konzernen sind es, die das alles für die Konsumenten so schwer machen. Aber es gibt ja auch noch die vielen kreativen Kleinunternehmer. Individuelle Sachen sind in Zeiten der Globalisierung angesagt – und Online-Plattformen wie Dawanda oder Etsy oder Kreativmärkte machen es einem leicht, einzigartige Teile zu finden. Man weiß natürlich nicht bei allen Anbietern, wie deren Rohstoffe hergestellt wurden oder ob sie es wirklich selbst produzieren – aber es steht kein Konzern dahinter, sondern kreative Köpfe, die sich meistens etwas dazu verdienen – und dafür fair entlohnt werden. Ich habe mittlerweile bei mehreren Dawanda-Shops schon die verschiedensten Dinge bestellt – und bei einigen bin ich auch Stammkundin. Ich glaube das wäre gleich mal ein Thema für einen neuen Blogpost „Meine liebsten Dawanda Shops“- interessiert euch das?

Auf diese drei Punkte achte ich jetzt beim Shoppen. Und wenn ich dann mal durch die Fußgängerzone oder meine liebsten Läden in der fränkischen Heimat schlendere, gönne ich mir als Highlight dann auch gerne mal was von meinen „konventionellen“ Lieblingsmarken. Denn die Mischung machts – und die Wertschätzung der Arbeit und der Rohstoffe. Die Zeiten, in denen ich wöchentlich mit 10 Teilen aus dem H&M marschiert bin, die dann nicht mal alle getragen wurden, sind damit auch vorbei.

not only the consumers have to change

Trotzdem ist der Konsument nicht alleine für die Lösung des Problems zuständig. In den Ländern vor Ort muss was passieren. Wie im Europa der Industrailiserung vor 200 Jahren auch, muss die Arbeiterschaft für ihre Rechte kämpfen (dürfen). Gewerkschaften und ein Tarifwesen muss sich etablieren – Überstunden kontrolliert und für die Sicherheit garantiert werden. Eine Berufs- und schulische Ausbildung muss für alle möglich sein. Und wenn dann mal in einem Land solche Standards erreicht werden, finde ich es unter aller Sau, wenn H&M, Zara und Co dann einfach ins nächste noch ärmere und korrupte Land abwandern und ihre Produktion dort neu aus dem Boden stampfen. Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn man ganz transparent die Wahl hätte: Wenn ich in einem H&M-Shop ein Shirt für 10€ sehe – und nebendran das gleiche Shirt – aber für 11€. Mit einem Zettel daran, dass dieser Euro direkt an die Menschen in den Fabriken als durchlaufender Posten weitergegeben würde – dann würde sich deren Lohn vervielfachen – und für mich wäre es nur 1€. Ich bin mir sicher, eine Menge Menschen würden das 11€ Shirt nehmen. Aber durch Lieferkette, beteiligte Personen etc. wird diese simple Idee zur Utopie und in der Realität nicht möglich sein. Schade.